München besaß im 15. Jahrhundert ein doppeltes Antlitz. Es war zum einen in typischer Weise ein Ort handwerklicher Produktion und Basis überregionaler Handelstätigkeit, die Verbindungen sowohl nach Süden über die Alpen hinweg , als auch in die nördlicheren Regionen Europas unterhielt. In europäischen Maßstäben gesprochen, lag München etwa in der Mitte zwischen den beiden großen, damals wirtschaftlich und kulturell besonders dynamischen Regionen Oberitalien im Süden und Flandern, Paris und dem südlichen England im Norden. München war zugleich auch die Residenzstadt der Herzöge von Oberbayern.

Beide Aspekte bildeten gute Ausgansbedingungen für die Etablierung und Beschäftigung überregional bedeutsamer und nachgefragter Künstler in München. Diese belieferten nicht nur die Stadt, sondern auch ein Umland, das zum Beispiel bis nach Polling im Südwesten, Tegernsee im Süden und Freising im Norden reichte.

Diese ausgedehnte und anspruchsvolle Nachfrage stimulierte die Münchner Künstler schon früh, epochal neue künstlerische Entwicklungen aus entfernteren Regionen in ihre Werke zu integrieren. So zum Beispiel die malerischen Neuerungen der Figurendarstellung und des Erzählens aus dem italienischen Bereich und die neuen künstlerischen Mittel der Ars Nova aus den Niederlanden, um Materialität naturalistisch ins Bild zu setzen und die Vergegenwärtigung von Bildinhalten zu steigern. Im Bereich der Architektur war es vor allen Dingen der Hof, der zusammen mit der Bürgerschaft z.B. mit Neubau der riesigen Frauenkirche neue Maßstäbe setzte. Hinzu kam die Plastik, wo mit einem Bildhauer wie Erasmus Grasser neue Wirkmöglichkeiten der bewegten menschlichen Figur erprobt wurden.

Es wird somit deutlich, dass die Münchner Kunst im 15. Jahrhundert relativ weit blickte und einen Horizont besaß, der wichtige Regionen Europas erreichte. Allerdings sind viele Kunstwerke aus dieser Zeit verloren gegangen, an andere Orte gelangt und es war lange Zeit schwierig, mit den verbliebenen Kunstwerken konkrete Biografien und konkrete historische Umstände zu verbinden. Langwierige und manchmal auch auf Irrwege geratene Forschungen haben hier erst nach und nach die grundlegenden Zusammenhänge wahrscheinlich machen können. Es ist dabei notwendig, kunsthistorische Methoden der Stilanalyse und Inhaltsanalyse mit der Auswertung von Schriftquellen und historischer Überlieferung zu verbinden.

Das Seminar führt also gleichermaßen an Kunstwerke dieser Zeit an der Schwelle von Mittelalter und früher Neuzeit heran, als es auch Einblicke in die historischen Kontexte von Kunst dieser Zeit geben will. Mechanismen der Verflechtung und des weiträumigen Austausches von Ideen und Motiven stehen dabei besonders im Vordergrund.

Da sich die Forschung immer noch im Fluss befindet, sollen verschiedene Expertinnen und Experten für die Kunst dieser Zeit eingeladen werden und von ihren eigenen Forschungsansätzen berichten. Wenn es organisatorisch möglich ist, so sollen verschiedene Werke vor Ort aufgesucht werden, so etwa im Bayerischen Nationalmuseum oder in der Münchner Frauenkirche. Das Seminar wird per Zoom stattfinden und auf diese Weise können auch externe Expertinnen und Experten zu Wort kommen. Grundsätzlich ist das Seminar durch seine Orientierung auf aktuelle Forschungen und durchaus noch offene Fragen für fortgeschrittene Studierende geeignet, es ist aber auch möglich, als Beginnerinnen und Beginner erste Einblicke in die Kunst unseres Studienortes in einer besonders spannenden Zeit zu gewinnen.

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