Auf die Frage des ZEIT-Journalisten, ob es „auch expliziten Trash im Rahmen des Welterbes“ gebe, antwortete der Ethnologe Christoph Brumann: „Das muss jetzt nicht ins Interview, aber man kann sich schon fragen, ob jedes Barockschloss, das seit alter Zeit auf der Liste steht, wirklich den Status von Versailles hat“ ("Der Drang nach Welterbe ist weltweit ungebrochen", Zeit Online, 26. Juli 2021, https://www.zeit.de/kultur/kunst/2021-07/unesco-welterbe-mathildenhoehe-kurbaeder-ethnologie-christoph-brumann-interview). Sind alle Schlösser in Europa letztlich unbedeutende Kopien und Abwandlungen von Versailles? Diese in der Allgemeinheit weitverbreitete, bis hin zu Intellektuellen und Experten weit verbreitete Meinung und in der älteren Forschung vertretene Position verkennt die Komplexität der Kunst in der höfischen Gesellschaft in Europa grundlegend. Die Kunst der höfischen Innendekoration ist für die Frühen Neuzeit in Europa kennzeichnend, hat jedoch im Vergleich zum Tafelbild nicht eine vergleichbare Aufmerksamkeit erhalten. Viele Missverständnisse und Gemeinplätze sind auf dieses Forschungsdefizite zurückzuführen. Das Zusammenspiel von Architektur, Malerei, Skulptur, Stuck, Holzarbeiten und Möbel in der höfischen Innendekoration, die wechselnden Wirkungsabsichten dieses fälschlich oft als ‚Gesamtkunstwerk‘ apostrophierten Zusammenspiels sollen untersucht werden. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen dem Königreich Frankreich und dem Alten Reich werden im Seminar an exemplarischen Beispielen diskutiert werden. Neben Referaten wird ein gemeinsames Lektürepensum, das in den Stunden auch durch Diskussionen eingefangen wird, absolviert. Die Austauschprozesse zwischen den Schlössern auf beiden Seiten des Rheins auf der Ebene der Auftraggeber- und Künstlerreisen, graphischer Vorlagen und Reiseberichten sollen differenziert in den Blick kommen. Dabei sollen auch weibliche Auftraggeber, Mätressen und Favoriten immer wieder in den Blick kommen. Fragen von Rang; Funktion und Zeremoniell sollen bei der Betrachtung des Austausches gegenüber stilistischen Fragen bevorzugt werden. Geplant ist eine einwöchige Exkursion nach Paris direkt im Anschluss an das Ende des Wintersemesters. Das Seminar wird in Präsenz durchgeführt. Voraussetzung für das Seminar ist die Bereitschaft zur Lektüre und zur Einarbeitung, Französischkenntnisse sind von Vorteil. Das Seminars ist für die Findung von Themen für Bachelor- und Masterarbeiten geeignet. Das Seminar steht im Zusammenhang zum Forschungsprojekt "Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland" der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und des DFG/ANR-Projekts "Eine Verflechtungsgeschichte der Deckenmalerei in Deutschland und Frankreich". Dei Teilnahme am Seminar ermöglicht einen Einblick in die Methoden und Werkzeuge der digitale Erforschung von Kulturerbe.

Zur Einführung werden folgende Videos empfohlen:

BR-Alpha zur Langzeitforschung
https://www.br.de/fernsehen/ard-alpha/programmkalender/sendung-3239380.html

Matteo Burioni beim 60. Geburtstag des Leibniz-Rechenzentrums:

Zur Einführung empfohlen werden meine Vorlesungen:

Aufzeichnung der Vorlesung "Tiepolo" (WiSe 2019/2020)
Aufzeichnung der Vorlesung "Deckenmalerei in Europa 1450-1800" (WiSe 2020/2021)

 

19.10. Einführung/Gemeinsame Lektüre
Lektüre: Stollberg-Rilinger 2013, 7-110; Elias 1969, S. 68-97; Grave 2015, S. 9-75 u. 253-273; Sjöström 1978, S. 7-79.

26.10. Die höfische Gesellschaft und die Innenraumdekoration/3D-Modelle als Werkzeuge

2.11. Die Schule von Mantua und die höfische Innendekoration in Frankreich und Deutschland/Datenbanken und Graphdatenbanken

9.11. Die Münchner Residenz unter Herzog und Kurfürst Maximilian I.
Referate: 1. Baugeschichte, 2. Peter Candid, Deckenmalerei, 3. Peter Candid, Teppiche

16.11. Henri IV. und die höfische Innendekoration
Referate: 1. Louvre 2. Fontainebleau

23.11. Maria de‘ Medici und der Palais du Luxembourg
Referate: 1. Rubens Maria de Medici Zyklus 2. Baugeschichte des Palais und Jardin du Luxembourg

30.11. Henriette Adelaide in München
Referate: 1. Die Residenz unter Henriette Adelaide, 2. Nympenburg unter Henriette Adelaide

7.12. Die Repräsentation der Kardinäle in Frankreich
Referate: 1. Die Architektur des Stadtpalais im Paris 2. Palais Cardinal für Richelieu, Philipp de Champagne, 3. Galerie Mazarine, Romanelli

14.12. Fürstbischöfe im Alten Reich
Referate: 1. Lothar Franz von Schönborn im Kaisersaal des Bamberger Residenz, 2. Clemens August in Schloss Brühl

21.12. Lustschlösser im Alten Reich
Referate: 1. Hoflössnitz in Radebeul, 2. Schloss Lustheim in Schleissheim

11.1. Lustschlösser in Frankreich
Referate: 1. Pavillon des Sceaux für Courbet, 2. Schloss Vaux für Fouquet

18.1. Das Modell Versailles
Referate: 1. Versailles, ein Forschungsüberblick, 2. Die Architektur des Schlosses von Versailles, 3. Die Innendekoration des Spiegelsaals in Versailles

25.1. Die Paradeschlafgemächer für August den Starken in Dresden
Referate: 1. Architektur der Dresdner Residenz, 2. Die Paradeschlafgemächer und Louis de Silvestre, 3. Der Französische Pavillon des Zwingers, 4. Die höfische Repräsentation von Christiane Eberhardine von Brandenburg-Bayreuth

25.1. Schloss Rheinsberg und Friedrich II.
Referate: 1. Der Spiegelsaal von Schloss Rheinsberg, 2. Schloss Meseberg und die Favoriten des Prinzen Heinrich und Friedrichs

1.2. Die Genese einer neuen Form der Deckenmalerei in Frankreich
Referate 1. Banque de France, Lemoyne und Pellegrini, 2. Lemoyne in Salon d’Hercule in Versailles, 3. Hotel d’Argenson, Antoine Coypel

8.2. Die Genese einer neuen Form der Deckenmalerei im Alten Reich
Referate: 1. Louis de Silvestre im Dresden, 2. Jacopo Amigoni in Schleißheim, 3. Tiepolo in Würzburg