Überall dort, wo Menschen in einer Gesellschaft zusammenleben, Werte miteinander teilen und dieselben Regeln befolgen, stellt sich aufgrund der unterschiedlichen Verteilung von Gütern und Lasten die Frage nach Gerechtigkeit. Seit der Industrialisierung ist die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit fester Bestandteil politischer Diskussionen, die spätestens mit John Rawls Theory of Justice in Philosophie und Theologie stärker konzeptionell unter dem Label „gerechte Gesellschaft“ diskutiert wird.

Zur Debatte steht grundsätzlich, ob Verdienst, Gleichheit oder Bedürfnis das leitende Paradigma von Gerechtigkeit darstellen. Damit verbunden ist die Frage, inwiefern Gerechtigkeit nur dann adäquat verstanden ist, wenn sie Menschen in Notsituationen nicht nur adressiert, sondern ihnen ggf. auch ein Recht auf Solidarität zuschreibt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie sich das Verhältnis von einer Universalität beanspruchenden Gerechtigkeitskonzeption und ihrer ggf. nur lokalen Operationalisierbarkeit darstellt. In Zeiten der Klimakrise werden schließlich Fragen der intergenerationalen Gerechtigkeit stärker betrachtet. In all diesen Fragen geben allerdings die aktuell diskutierten Gerechtigkeitskonzeptionen Hinweise, dass Gerechtigkeit sich zum einen nicht selbst begründen lässt und zum anderen als Ideal nicht hinreichend ist, um tatsächlich eine gerechte (Welt-)Gesellschaft zu etablieren. Hierfür scheint gerade eine theologischer Deutungshorizont unerlässlich.

Die Vorlesung will einen Überblick über die Gerechtigkeitstheorie (von der Antike bis zur Gegenwart) geben, die gegenwärtigen Diskussionen um Gerechtigkeit adressieren ([Non-]Egalitarismus, Gerechtigkeit als Ideal und/oder Regulativ etc.) und schließlich aufzeigen, wo die Theologie einen genuinen Beitrag zur Debatte leisten kann. Dabei werden selbstredend auch kontroverse theologische Positionen thematisiert. Gesellschafts- und kirchenorientierte Anwendungsfragen sollen dazu dienen, die konzeptionellen Erörterungen zu veranschaulichen.