Das Wort ‚Fleisch‘ bezeichnet die Weichteile von Menschen und Tieren, die obskure Materialbasis sowohl der carnivorischen Mahlzeit als auch unserer eigenen Existenz. Kann man zu diesem Material unter der eigenen Haut ‚ich‘ sagen, zu diesem fremd anmutenden Gewebe, dessen Anblick und Textur allenfalls in der Chirurgie und Pathologie alltäglich ist?
Das Wort ,Fleisch‘ bedeutet Verschiedenes: Dass Gott in Jesus Christus ‚Fleisch‘ geworden, und dass dieses ‚Fleisch‘ aus dem Totenreich auferstanden sei, bildet den Kern der christlichen Lehre: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“ (Joh. 1.14) Auch weit darüber hinaus prägt das Modell von der ‚Inkarnation des Logos‘ das Denken über den Körper und das Symbolische. Von Ernst Kantorowicz stammt die berühmte Analyse der Zweikörperlichkeit des Königs: Da die sterbliche Körperlichkeit des Königs aus Fleisch und Blut der Idee einer göttlich legitimierten Monarchie wenig zuträglich ist, reagiert die mittelalterliche Theologie mit dem Konzept der Zweikörperlichkeit. Neben dem König aus Fleisch erhob sich ein zweiter Königskörper, eine Verkörperung des Amtes und der Majestät von Gottes Gnaden, und verlieh dem politischen System Stabilität.
Aber wie erging es dieser Konstellation nach der französischen Revolution? Wie erging es dem zweiten Körper des Königs nachdem der erste guilliotiniert worden war? Dem zeitgenössischen Philosophen und Literaturwissenschaftler Eric L. Santner zufolge ist der zweite Körper nie aus der politischen Sphäre verschwunden, er ist vielmehr in die Bevölkerung diffundiert. Wir tragen demnach alle einen Überschuss an Fleisch mit uns. In der Demokratie bleibt die Zweikörperlichkeit Santner zufolge unheimlich präsent, und zwar in der Substanz dessen, was er the flesh nennt: in der pulsierenden Verknüpfung von Körperlichkeit und sozialer Ordnung, als substanzlose Substanz aus affektiven, sozialen und symbolischen Bindungen. Santner spürt den „zweiten Körper des Volkes“ im Bereich der Libido (Freud), der ökonomischen Mehrwerttheorie (Marx) und in der Biopolitik (Foucault) auf. Nicht zuletzt findet er seine Spuren in Kunstwerken – von der französischen Revolution bis zur Gegenwart.
Das Motiv des Fleisches löst nach wie vor Theorieproduktion aus. Es ist als müsste diese Substanz sprachlich und konzeptuell in Schach gehalten werden – dieses sehnige, blutige, rotlila glänzende oder fahle, dieses schmerzende und/oder reizende, mal goldbraun knusprige, mal vor Würmern wimmelnde Material.
Im Verlauf des Semesters machen wir uns mit kulturwissenschaftlichen Begriffen wie „Inkarnation“ oder „Zweikörperlehre“ vertraut und diskutieren die politischen, theologischen und ästhetischen Implikationen des Körperdiskurses anhand von Darstellungen des Fleisches im Spannungsfeld von Theologie und Ästhetik, Ekel, Begehren und Macht. Hierzu dienen literarische Texte aber auch Lektüren berühmter Gemälde: Deleuze über die Fleischköpfe in der Malerei Francis Bacons, W. G. Sebald über Rembrandts „Die Anatomie des Dr. Tulp“, T. J. Clarke und Eric L. Santner über Davids „Der Tod des Marat“. Vorschläge für begleitende Filmabende (Claire Denis, Julia Ducournau?) wie für Exkursionen in die Welt der bildenden Kunst sind willkommen.

- Docente: Emil Kauth
- Docente: Jenny Willner