Ein großer Teil der Schriften des Neuen Testaments ist formal der Gattung „Brief“ zuzuordnen. Sie stehen damit in einer besonderen Kommunikationssituation.

Das Seminar widmet sich dem literatur-, sozial- und religionsgeschichtlichen Kontext der neutestamentlichen Briefe vor dem Hintergrund der antiken Epistolographie.


Der Soziologe Georg Simmel bezeichnet im berühmten Kapitel «Der Streit» – Teil seines Werkes «Soziologie» – den Kompromiss als «eine der größten Erfindungen der Menschheit» (250). Dieses oft zitierte Diktum Simmels gilt bis Heute und ruft in Erinnerung, dass Kompromisse nicht einfach vom Himmel fallen, sondern von Menschen geschlossen, ja geschmiedet werden müssen. Denn Kompromisse zu finden ist anstrengend – genauso wie kompromisslose Menschen in aller Regel mühsame Zeitgenossen sind. Kompromisse individuell wie sozial, d. h. in kleinen oder grösseren sozialen Verbänden wie Familie, Nachbarschaft, Stadt und Staat, Kirche, Universität oder Fakultät, zu schließen, gehört zu den unabdingbaren Notwendigkeiten, um gelingendes Leben in unterschiedlichen Sozialformen zu ermöglichen. Ohne Kompromisse funktioniert das Zusammenleben von Menschen schlechterdings nicht. Wie allerdings Kompromisse in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen gefunden, begründet, durchgesetzt und dauerhaft stabilisiert werden, wie Kompromissfähigkeit gelernt und zugleich mit Wahrheitsansprüchen vermittelt werden kann, aber auch welche Grenzen die Kompromissfindung als Teil einer Kultur des Entscheidens hat und wann ein Kompromiss «faul» zu werden beginnt, ist Gegenstand der Debatte und rezenter Forschung (vgl. https://www.kulturwissenschaften.de/neuer-forschungsverbund-kulturen-des-kompromisses-mit-wissenschaftlerinnen-der-ude-wwu-und-rub-startet-im-november/), zu der auch aus neutestamentlicher Perspektive ein Beitrag geleistet werden kann. Denn von Entscheidungsfindung durch die Suche nach einem Kompromiss ist in zentralen Texten des frühen Christentums die Rede (vgl. z. B. Apg 15). Und manch neutestamentliche Texte lassen sich zumindest als Ergebnis eines Kompromisses verstehen – auch wenn in ihnen selbst gar nicht von Konfliktlösung und Kompromisssuche die Rede ist (vgl. z. B. Joh 21). Die Bereitschaft zum Kompromiss gerade auch dann, wenn religiöse Wahrheitsansprüche beteiligt sind, gehört zum Traditionsschatz des frühen Christentums. Im Seminar werden wir neutestamentliche Texte, die von Kompromisssuche und -findung explizit erzählen oder deren Formulierung auf einen Kompromissbildungsprozess zurückgehen könnte, intensiv analysieren. Dabei treffen wir auf theologische Weichenstellungen, die für die Geschichte des frühen Christentums zentrale Entwicklungen forciert haben. Gemeinsam erarbeiten wir dabei Charakteristika einer urchristlichen Kultur des Kompromisses.

Das Matthäusevangelium zeichnet ein in der neutestamentlichen Wissenschaft eher stiefmütterlich behandeltes Programm der intersubjektiven Sündenvergebung aus. Es ist hochgradig reflektiert und sehr präzise in den Gang der mt Jesusgeschichte eingebunden. Das wird insbesondere im synoptischen Vergleich deutlich, der der mt Redaktion mk Stoffe nachspürt. Inhaltlich geht es Matthäus dabei allerdings zunächst nicht um den sich selbst als sündig erlebenden Menschen und seine Frage, wie er gerechtfertigt vor Gott stehen könnte. Die Perspektive des Matthäusevangeliums ist zuvorderst eine dezidiert horizontale: Matthäus entwickelt ein Konzept der gegenseitigen und zutiefst zwischenmenschlichen Sündenvergebung, das erst in zweiter Linie Gott selbst ins Spiel bringt. Der mt Text wirbt dabei nachhaltig für ein Ethos der Vergebung und Versöhnung. Das hat nicht zuletzt mit der mt Gemeindegeschichte und den sie prägenden Konflikten, mit Schulderfahrungen und letztlich auch mit der Katastrophe der Tempelzerstörung im Jahr 70 n. Chr. zu tun. Die Vorlesung spürt diesen mt Programm nach und nimmt dabei die theologische Produktivität von Erfahrungen von Schuld und Sünde in den Blick. In der Vorlesung exegetisch analysiert und interpretiert werden für die Thematik zentrale Perikopen des MtEv in synchron-narratologischer und diachroner, d. h. vor allem synoptisch-redaktioneller Perspektive.


Wer war der Mann aus Nazaret, der den Stein ins Rollen brachte? Was können wir historisch von ihm wissen? In welcher Welt hat er gelebt? Was waren seinen Überzeugungen? Wie hat er gelebt? Was hat er verkündet? Wer waren seine Freunde und seine Feinde? Was hat ihn als Kreuz gebracht und was hat der Glaube an seine Auferweckung mit seinen ureigensten Überzeugungen zu tun? Diese und weitere Fragen stehen im Zentrum unserer Vorlesung zum historischen Jesus. Nach einer Einführung in die forschungsgeschichtliche Frage nach dem historischen Jesus, den Kriterien seiner Rekonstruktion, seiner Lebenswelt und einem Blick auf Johannes den Täufer sollen vor allem seine Überzeugungen und die Hauptmerkmale der Verkündigung und des Wirkens Jesu im Mittelpunkt der Vorlesung stehen. Jesu Gottesreichbotschaft, seine Verkündigung in Gleichnisform und seine ethischen Forderungen gilt es dabei ebenso anzusprechen wie Jesu Heilungstätigkeit und Mahlpraxis und seinen Ruf in die Nachfolge.


Die Übung vermittelt bibeltheologisches Basiswissen. Anhand der gemeinsamen und angeleiteten selbstständigen Lektüre zentraler Texte sollen Themen, Inhalte und theologische Grundgedanken des Alten und Neuen Testaments erarbeitet und auf neue Texte eigenständig anwendbar werden. Exemplarisch werden Grundfragen eines sachgerechten Zugangs zu biblischen Texten besprochen, der die historische Verortung der Texte wahrnimmt und in diesem Rahmen deren Anliegen und Absicht entfaltet.


Wer erfolgreich den Griechischkurs absolviert hat, erhält nicht nur ein Zeugnis, das für den Magister theologiae Voraussetzung ist. Er oder sie hat vor allem Sprachkenntnisse erworben, die einen vertieften Zugang zu den Texten des Neuen Testaments ermöglichen! Wie die frisch erworbenen Griechischkenntnisse für neue Entdeckungen in bekannten Erzählungen genutzt werden können, soll in dieser Lehrveranstaltung geübt werden. Mit Mk 14,1–15,47 nehmen wir uns einen Text vor, der einerseits für die Frage nach dem historischen Jesus von zentraler Bedeutung ist (vgl. Modulprüfung P14 am Ende dieses Semesters) und andererseits viele Bezüge zur jüdischen Umwelt Jesu aufweist (vgl. Vorlesung im Rahmen des Moduls 17). Im Zentrum der Veranstaltung steht die gemeinsame Erarbeitung des Textes, nicht nur in sprachlicher, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht.

Die Eucharistie gehört zu den zentralen Geheimnissen des christlichen Glaubens. Das Seminar geht dem vielfältigen Zeugnis nach, das die neutestamentlichen Schriften bieten: von der Abendmahlsüberlieferung über die johanneische Brotrede, die Emmauserzählung, die Zeugnisse über das Brotbrechen und das Herrenmahl, die paulinischen Weisungen zu dessen Praxis bis hin zum Bild vom Hochzeitsmahl des Lammes in der Johannesoffenbarung.


Die eigenständige Auslegung der biblischen Schriften ist eine zentrale Kompetenz für jede/n Theologen/-in. Der breite Methodenkanon der Exegese erscheint beim ersten Kontakt aber oft unübersichtlich. Das Seminar will anhand exemplarischer neutestamentlicher Texte systematisch in die verschiedenen (diachronen wie synchronen) Methoden der Exegese einführen und Grundlagen für den problembewussten Umgang mit dem biblischen Textgut vermitteln.

Das älteste Evangelium ist zugleich das kürzeste. Mit den wenigen erzählerischen Strichen und Episoden, die er berichtet, gelingt es Markus jedoch, zwischen dem Leser und dem Erzählten eine Gleichzeitigkeit herzustellen und so einen unmittelbaren Zugang zu Jesus von Nazaret zu schaffen. Der Leser ist eingeladen, in die Rolle der Jünger zu schlüpfen und das Evangelium von innen mitzuvollziehen. 

Das Seminar erschließt die literarische und theologische Gestalt des Markusevangeliums und beschäftigt sich mit den für die markinische Christologie zentralen Texten.

Paulus war nicht nur ein brillanter Theologe, sondern auch ein streitbarer Geist. In seinen Briefen spiegeln sich die Faszination der christlichen Anfangszeit, das Ringen darum, die christliche Botschaft in die plurale Lebenswelt des antiken Mittelmeerraums zu übersetzen, das persönliche Ringen des Paulus mit seiner Christuserfahrung und seinem Selbstverständnis, seine situationsorientierte theologische Problemlösungsstrategie und das Mühen um die Schaffung einer gemeinsamen Identität der Gemeinden. Die Teilnehmer/-innen sollen einen Zugang zu einem der großen urchristlichen Theologen und seinem Denken gewinnen, Theologie als Problemlösungspotential in dem exemplarischen Umfeld der frühchristlichen Gemeinden kennen lernen und die eigenständige Auslegung biblischer Texte erlernen.


Die Passionserzählungen gehören zu den wirkungsreichsten Texten des Neuen Testaments, wie die Passionsspiele in Oberammergau anschaulich vor Augen führen, die ursprünglich in diesem Jahr wieder hätten stattfinden sollen und nun situationsbedingt auf 2022 vertagt wurden. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Passionserzählungen auf unterschiedlichste Weise in Kunst, Musik und Kultur umgesetzt und dargestellt. Im Theologischen Kolloquium sollen ausgehend von den vier Passionserzählungen in den Evangelien anhand ausgewählter Beispiele Chancen und Grenzen eines rezeptionsgeschichtlichen Zugangs zu den Passionserzählungen erörtert werden.

Christen stehen mitunter an der (inneren) Himmelstür. Sie klopfen an, aber niemand macht auf. Drinnen brennt kein Licht; vielleicht war das Haus niemals bewohnt (C.S. Lewis). – Eine solche Erfahrung ist der Ausgangspunkt des Hebräerbriefs, des ersten Dokuments einer reflektierten christlichen Theologie. Der „große Unbekannte“ unter den neutestamentlichen Schriften bewegt sich auf der Höhe seiner Zeit. Er beschreibt eine Welt, in der der Himmel wirklicher ist als der Alltag, das Wort mächtiger als die Mehrheitsmeinung, Gottes Lebensraum jetzt schon zugänglich wird. An diesem Drama nehmen die Lesenden mit ihrer eigenen Glaubensgeschichte teil. Sein Hauptakteur ist Christus.

Die Vorlesung zeichnet das Profil dieses „ersten Theologen“ und erschließt die Ressourcen seiner Glaubensrede für heute. Der Hebräerbrief ist weder kompliziert noch weltfremd. Er ist das leidenschaftliche Zeugnis von einem an-sprechenden Gott in erdschwerer Zeit und das Plädoyer für eine Kirche, die beweglicher wird, weil sie mit Blick auf Jesus Christus zu glauben lernt.


Kommentar

Wenige biblische Texte haben über die Jahrhunderte so prägend auf Glaube und Kultur gewirkt wie die lukanischen Kindheitsgeschichten (Lk 1–2). In ausgewählten Episoden über Geburt und Heranwachsen Jesu stellen sie eine christologische Lesebrille für das gesamte Evangelium bereit. Die Übung erschließt Komposition, Bedeutung und Wirkung dieser „Christology in a Nutshell“ und vertieft exemplarisch den sachgerechten wie problembewussten Umgang mit dem neutestamentlichen Textgut, wie er in den biblischen Methodenseminaren vermittelt wird.

Literatur

Wird in der ersten Sitzung bekanntgegeben.

Bemerkung

Die einstündige Veranstaltung wird zweistündig in der ersten Semesterhälfte durchgeführt und endet am 08.06.2020.

Leistungsnachweis

Die Veranstaltung wird im Rahmen einer Modulprüfung zu P 1 am Ende des SoSe abgeprüft.


Die eigenständige Auslegung der biblischen Schriften ist eine zentrale Kompetenz für jede/n Theologen/-in. Der breite Methodenkanon der Exegese erscheint beim ersten Kontakt aber oft unübersichtlich. Das Seminar will anhand exemplarischer neutestamentlicher Texte systematisch in die verschiedenen (diachronen wie synchronen) Methoden der Exegese einführen und Grundlagen für den problembewussten Umgang mit dem biblischen Textgut vermitteln.