Weltweit sind Journalismus und Medieninstitutionen in den letzten Jahren enormen Herausforderungen ausgesetzt: Zum einen durch Digitalisierung und den Aufstieg sozialer Medien, die die bisherigen Geschäftsmodelle von Nachrichtenorganisationen in Frage stellen; zum anderen durch politischen Gegenwind, der sich in autokratisch regierten Systemen in Repressalien und Gewalt gegen Reporter manifestiert. Doch auch in demokratischen Systemen sehen sich Journalismus und Presse mit „Fake News“-Vorwürfen, Diffamierungen als „Lügenpresse“ und politischen Einschüchterungsversuchen konfrontiert. Auch wenn die Situation von Japans Medien relativ selten im Fokus der internationalen Aufmerksamkeit steht, so sind auch hier signifikante Herausforderungen zu konstatieren. Während der Amtszeit von Premierminister Abe ist das Land auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit (von einst Platz 11 im Jahr 2010) bis auf Platz 72 (2016) abgerutscht. Wiederholt berichten Journalisten von einem repressiven Medienklima, in dem transparente und kritische Berichterstattung erschwert wird. Doch es sind nicht nur die jüngsten Anfeindungen gegenüber der Presse, die den öffentlichen Diskurs beeinträchtigen – Japans Mediensystem gilt historisch bedingt als ein herausforderndes Umfeld für unabhängigen Journalismus und Meinungspluralismus. Eine Presselandschaft bestehend aus einflussreichen Medienkonglomeraten und Werbeagenturen (Dentsû), die Kontrolle des Informations- und Nachrichtenflusses über die sog. Kisha Clubs, die omnipräsente Vermischung von journalistischen und kommerziellen Inhalten und die damit einhergehende Einflussnahme der Industrie auf den öffentlichen Diskurs oder etwa der informelle Einfluss von Politik und Bürokratie auf die Medien (inbesondere auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk NHK) stellen nur eine kleine Auswahl der Problematik dar.

Ausgehend von der Erarbeitung grundlegender medien- und kommunikationswissenschaftlicher Theorien und Konzepte sollen in diesem Seminar folgende japanspezifische Themen im Mittelpunkt stehen: die Strukturen des japanischen Mediensystems (Medienkonglomerate, Kisha Clubs, Werbeagenturen etc.) und ihre historischen Grundlagen, die unterschiedlichen Medien (Fernsehen, Tageszeitungen, Nachrichtenmagazine, digitale Medien u.a.) und ihre inhaltliche Ausrichtung, die Digitalisierung und der Strukturwandel der Öffentlichkeit, der Journalismus (Berufsbild, Ausbildung, journalistische Ethik etc.), das Verhältnis zwischen Medien und Politik/Bürokratie und schließlich ausgewählte Fallstudien, in denen es gewissermaßen zu „Bewährungsproben“ für den japanischen Journalismus gekommen ist (wie etwa bei der Berichterstattung zur Atomkatastrophe von Fukushima oder während der Covid-19-Pandemie).

Anhand der äußerst komplexen und vielschichtigen Problematik sollen die Seminarteilnehmer/innen einen Einblick in einen interdisziplinären Kernbereich gewinnen, in dem vielfache Stränge aus Japans Gesellschaft, Kultur, Politik und Geschichte zusammenlaufen. Gleichzeitig wird durch die Medien-Perspektive deutlich, welch zentrale Rolle ein unabhängiger Nachrichtenjournalismus für das Funktionieren von Demokratie besitzt. Schließlich sollen – wo angemessen – Vergleiche mit anderen „Mediendemokratien“ Parallelen und Unterschiede erhellen.