Die Frage: „Wer blickt ‚zurück‘?“ ist dabei auch ein Appell und eine Einladung an Sie, die Studierenden dieses Faches: Wer macht mit bei diesem kritischen ‚Rereading‘? Bei dieser Frage geht es immer auch um das Problem der politischen Relevanz und Engagiertheit literaturwissenschaftlicher Arbeitsweisen, das gerade im Kontext postkolonialer Lektüren brisant wird, die von vorneherein die Idee einer objektiven und neutralen Literaturwissenschaft als eurozentrisch zurückweisen und uns in die Pflicht nehmen, einen kritische Haltung einzuüben. Zugleich ist ein „Blick zurück“ auch ein – nicht immer kalkulierter – Effekt der kanonisierten Werke, mit denen wir uns beschäftigen wollen: Selbst in den exotisierendsten, rassistischsten Texten sind die kolonialen Subjekte nicht nur als erzählte ‚Objekte‘ anwesend, sondern verweisen schon immer auf die Möglichkeit, diesen voyeuristischen Blick standzuhalten, ihn zu erwidern oder subversiv umzukehren. Die Frage, die wir uns immer wieder stellen ist: Wer blickt wen an? Wer ist Subjekt, wer Objekt der Erzählung? Der Fokus auf Brüche und Erosionen der eurozentrischen Perspektive soll uns dabei jedoch zugleich für andere Vereinnahmungen nicht blind machen: Wenn der „Blick zurück“ der kolonialisierten Subjekte auf die ‚eigene‘ Kultur und Gesellschaft der Kolonist:innen wiederum nur dazu dient, ein Spiegel dieses Eigenen zu sein, wird das ‚Andere‘ wiederum kolonialistisch vereinnahmt. Zuletzt ist der „Blick zurück“ auch ein zeitlicher: Bis weit ins 20. Jahrhundert, zum Teil sogar bis heute, setzen literarische Texte einen räumlichen Blick in die ‚Ferne‘, d.h. auf die (ehemaligen) Kolonien mit einem Blick in die eigene, nicht-‚zivilisierte‘ Vergangenheit gleich. Auch diesen Blick gilt es, zu hinterfragen, kritisieren und eventuell sogar umzukehren, und so Geschichte(n) ‚anders‘ zu lesen und zu erzählen. Der Schwerpunkt der Lektüre bilden – nach einem Einstieg mit postkolonialen Theorien – kanonische Texte insbesondere deutschsprachiger Literatur seit der Aufklärung (hin und wieder werden wir aber auch den engen nationalphilologischen Schwerpunkt etwas verlassen). Wir werden uns Texte unterschiedlicher Gattungen und Genres ansehen, also bspw. auch expressionistische Lyrik, ‚triviale‘ Abenteuerliteratur (bspw. Karl May) oder Klassiker der Kinderbuchliteratur ins Auge fassen. Ziel des Seminars ist es, einen vielseitigen Einblick in die Grundlagen, Ziele und Chancen postkolonialer Literaturwissenschaft zu geben. |
- Trainer/in: Rabea Conrad
- Trainer/in: Linus Henrichs
- Trainer/in: Franziska Merk