Seminarplan, Arbeitsmaterialien, Organisatorisches zu allen Sitzungen des Einführungsseminars Neuere deutsche LiteraturwissenschaftKurs A (13970), SoSe 2024

Den Einschreibeschlüssel erhalten die zum Seminar zugelassenen Teilnehmer:innen per Mail nach der ersten Sitzung, am Donnerstag, 18.04.2024.


Die Zuschreibung „naiv“ wird heutzutage meistens gebraucht, um vermeintlich kindliche, dumme, einfältige oder weibliche Perspektiven abzuwerten. Etwas als „naiv“ zu bezeichnen, bedeutet es aus dem Bereich des Vernünftigen, Intellektuellen, Interessanten auszuschließen. Auch literarisch wird dieser Ausschlussmechanismus wirksam, indem er bestimmte Autor:innen oder sogar ganze Genres als „trivial“ markiert und damit aus dem Kanon der Hochliteratur verbannt.

Wir wollen uns in diesem Seminar mit der Geschichte der Naivität in der deutschsprachigen Literatur beschäftigen. Woher stammt der Begriff des Naiven und wie verändert er sich im Laufe der Zeit? Wer schreibt wem Naivität zu? Und wie „dumm“ ist eine naive Perspektive wirklich?

Indem wir uns mit „naiven“ Figuren – Frauen, Kindern, „edlen Wilden“, Narren, usw. – und ihren Perspektiven beschäftigen, erkunden wir zugleich das subversive Potential der Naivität: Denn manchmal kann nur der naive Blick die Welt mit anderen Augen sehen.


Im neunzehnten Jahrhundert wurden die großen Bahnhöfe Europas zum Mittelpunkt ihrer Städte, zu Sinnbildern der Industrialisierung und Ausgangpunkten der Globalisierung. „Die Elementarbegriffe von Raum und Zeit sind schwankend geworden“, staunte Heinrich Heine 1843 im Pariser Gare d’Austerlitz. Die Literatur erzählt von den neuen Erlebnissen und Möglichkeiten, die sich in den Bahnhöfen auftun, von Kriminalität und Unfällen, von Begegnungen und Fernweh. Im zwanzigsten Jahrhundert kommen Abschiede von Soldaten hinzu, das Warten auf die Reise ins Exil und, meist auf Rangierbahnhöfen oder Nebengleisen, Deportationen. In all ihren Facetten spiegeln die Bahnhöfe zentrale Entwicklungen der Moderne – und auch der literarischen Moderne – wider.

Das Seminar widmet sich (zu einem Gutteil kanonischen) Novellen, Erzählungen, Gedichten und Dramen, auch einem Roman. Wie werden die neuen Wahrnehmungen und Erfahrungen, wie wird der neue Erzählraum literarisch gestaltet? Wie lassen sich diese Narrative kulturgeschichtlich kontextualisieren? Ziel des Seminars ist es, eine ‚Poetologie der Bahnhöfe’ und damit eine kleine Literaturgeschichte der Moderne zu entwerfen.


Das Kolloquium richtet sich an jene, die sich auf das Staatsexamen für ein Lehramt an öffentlichen Schulen vorbereiten wollen. Wir widmen uns Woche für Woche jeweils einem Abschnitt der Literaturgeschichte anhand von kanonischen Texten, und besprechen im Zuge dessen auch Grundlagen der Dramenanalyse. Außerdem werden wir gemeinsam mögliche Antworten auf Fragen erarbeiten, die in der Vergangenheit gestellt wurden oder potentiell gestellt werden könnten.



Einschreibeschlüssel: Literaturgeschichte24

Die Vorlesung wird um einen Moodle-Kurs ergänzt, der u.a. möglich macht, die Filmabende  gemeinsam zu reflektieren, indem ein gemeinsamer Text entsteht.


In diesem Seminar wollen wir uns in einem ersten Schritt einführend mit einschlägigen postkolonialen Theorien beschäftigen, um davon ausgehend einen Blick in den Kanon der (neueren deutschen) Literatur zu werfen: Was wird sichtbar, wenn wir mit der „postkolonialen Brille“ einen Blick ‚zurück‘ auf die Literatur- und Fachgeschichte werfen?

Die Frage: „Wer blickt ‚zurück‘?“ ist dabei auch ein Appell und eine Einladung an Sie, die Studierenden dieses Faches: Wer macht mit bei diesem kritischen ‚Rereading‘?  Bei dieser Frage geht es immer auch um das Problem der politischen Relevanz und Engagiertheit literaturwissenschaftlicher Arbeitsweisen, das gerade im Kontext postkolonialer Lektüren brisant wird, die von vorneherein die Idee einer objektiven und neutralen Literaturwissenschaft als eurozentrisch zurückweisen und uns in die Pflicht nehmen, einen kritische Haltung einzuüben.

Zugleich ist ein „Blick zurück“ auch ein – nicht immer kalkulierter – Effekt der kanonisierten Werke, mit denen wir uns beschäftigen wollen: Selbst in den exotisierendsten, rassistischsten Texten sind die kolonialen Subjekte nicht nur als erzählte ‚Objekte‘ anwesend, sondern verweisen schon immer auf die Möglichkeit, diesen voyeuristischen Blick standzuhalten, ihn zu erwidern oder subversiv umzukehren. Die Frage, die wir uns immer wieder stellen ist: Wer blickt wen an? Wer ist Subjekt, wer Objekt der Erzählung? Der Fokus auf Brüche und Erosionen der eurozentrischen Perspektive soll uns dabei jedoch zugleich für andere Vereinnahmungen nicht blind machen: Wenn der „Blick zurück“ der kolonialisierten Subjekte auf die ‚eigene‘ Kultur und Gesellschaft der Kolonist:innen wiederum nur dazu dient, ein Spiegel dieses Eigenen zu sein, wird das ‚Andere‘ wiederum kolonialistisch vereinnahmt.

Zuletzt ist der „Blick zurück“ auch ein zeitlicher: Bis weit ins 20. Jahrhundert, zum Teil sogar bis heute, setzen literarische Texte einen räumlichen Blick in die ‚Ferne‘, d.h. auf die (ehemaligen) Kolonien mit einem Blick in die eigene, nicht-‚zivilisierte‘ Vergangenheit gleich. Auch diesen Blick gilt es, zu hinterfragen, kritisieren und eventuell sogar umzukehren, und so Geschichte(n) ‚anders‘ zu lesen und zu erzählen.

Der Schwerpunkt der Lektüre bilden – nach einem Einstieg mit postkolonialen Theorien – kanonische Texte insbesondere deutschsprachiger Literatur seit der Aufklärung (hin und wieder werden wir aber auch den engen nationalphilologischen Schwerpunkt etwas verlassen). Wir werden uns Texte unterschiedlicher Gattungen und Genres ansehen, also bspw. auch expressionistische Lyrik, ‚triviale‘ Abenteuerliteratur (bspw. Karl May) oder Klassiker der Kinderbuchliteratur ins Auge fassen. Ziel des Seminars ist es, einen vielseitigen Einblick in die Grundlagen, Ziele und Chancen postkolonialer Literaturwissenschaft zu geben.


Das Kolloquium richtet sich an jene, die sich auf das Staatsexamen für ein Lehramt an öffentlichen Schulen vorbereiten wollen. Wir widmen uns Woche für Woche jeweils einem Abschnitt der Literaturgeschichte anhand von kanonischen Texten, und besprechen im Zuge dessen Grundlagen der Dramenanalyse. Außerdem werden wir gemeinsam mögliche Antworten auf Fragen erarbeiten, die in der Vergangenheit gestellt wurden oder potentiell gestellt werden könnten.


Fortgeschrittenenseminar NdL, SoSe 2023

Montag, 10–12 Uhr c. t.

Schellingstr. 3 Rgb., Raum 203

Dr. Margit Dirscherl

Sprechstunden nach Vereinbarung

margit.dirscherl@germanistik.uni-muenchen.de

Ein Buch lässt sich über Grenzen schmuggeln, kann heimlich gelesen und weitergegeben werden – eine Theaterbühne hingegen ist kaum zu verbergen, und an einem anderen Ort auch nicht mehr dieselbe. Unter all jenen Schriftstellern und Künstlern, die vom Nationalsozialismus ins Exil vertrieben wurden, hatten es insbesondere jene schwer, deren Arbeit an die Theaterbühnen geknüpft war. Die Trennung von ihrem natürlichen Publikum bedrohte ihr Schaffen und ihre wirtschaftliche Existenz. Dennoch fand sich da und dort ein meist überschaubares Publikum. Es entstanden rund 700 Dramen im Exil; etwa 800 Inszenierungen sind überliefert. Da etablierte Theater die Vertriebenen selten engagierten, organisierte man sich oft selbst. Auf diese Weise kam es zur Gründung der „Pfeffermühle“ in der Schweiz und des österreichischen „Laterndl“ in London.

Im Seminar wollen wir auf die vielfältige und wechselhafte Geschichte des Exiltheaters von 1933 bis 1945 zurückblicken. Gegenstand unserer Lektüre sind u. a. kanonisierte Dramen wie Bertolt Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches und Franz Werfels Komödie Jacobowsky und der Oberst, aber auch weniger bekannte Texte. Ferner wollen wir Dokumente betrachten, die einen Einblick in institutionelle und strukturelle Bedingungen gewähren und es uns erlauben, eine literatursoziologische Perspektive einzunehmen. Vereinzelt wollen wir auch jenen Aufmerksamkeit schenken, die in benachbarten Branchen Fuß fassten, z. B. im (propagandistisch genutzten) Rundfunk, wo sie – eine Ironie der Geschichte – ein größeres Publikum erreichten, als sie es im Theater je hätten haben können.


Begleitend zum trauma-plot-Seminar wollen wir uns der Vorgeschichte des Traumas und seiner Theoretisierung – etwa als „Schreckneurose“, als „Eisenbahnkrankheit“ (railway spine) oder als „Kriegszittern“ (shell shock)­ – und seiner engen Verschränkung mit medialen Revolutionen widmen. Insbesondere das KZ Syndrom oder das Post Vietnam Syndrome (PVS) haben zu einer Intensivierung nicht nur der medizinischen Forschung beigetragen, sondern auch zu einer Revision der prekären Frage einer Medienästhetik traumatischer Ereignisse. Es ist kein Zufall, dass einflussreiche kulturtheoretische und narratologische Theorien im Umfeld der Debatten um die Darstellbarkeit des Inkomensurablen entstehen. Wir wollen uns explizit auch der Karriere des Traumas im medien- und kulturwissenschaftlichen Zusammenhang seit der Aufnahme der Diagnose in das amerikanische Diagnose-Manual Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (aktuell: DSM-5, seit 1952) im Jahr 1980 und der Aufnahme in International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems im Jahr 1992 widmen.

„Fiction writers love it. Filmmakers can’t resist it.“ (Parul Sehgal)

 

Im Dezember 2021 vorveröffentlichte The New Yorker online unter dem Titel „The Case Against The Trauma-Plot“ einen Beitrag der Journalistin Parul Sehgal. Er enthielt eine kritische Abrechnung mit einem vorherrschenden Plottypus von Filmen, Serien und Literaturen der Gegenwart. Karl Ove Knausgards Min Kamp-Reihe (2009-2011), Hanya Yanagihara’s A Little Life (2015), Ted Lasso (2020, Apple TV+), Reservation Dogs (2021, FX) und WandaVision (Disney+, 2021), ­­– um nur einige zu nennen. Nicht allein die Aufzählungen all jener Beispiele, die sich durch einen trauma-plot auszeichnen, verblüfft, sondern auch der Seghals Befund, dass nämlich der Trauma-Plot moralisch belehre und Charaktere auf ein Symptom hin „verflache, verzerre, reduziere“. Allen voran führe er dazu, dass wir die Freude des Nichtwissens und der Intransparenz vergessen. Zwar sind die traumatisierten Akteure von Erinnerungslücken, Gedächtnisverlust, dekontextualisierten Flashbacks und Intrusionen, von obsessiven Wiederholungshandlungen oder depressiven Episoden geplagt, doch die Rekonstruktion der Ereignisse, die Suche nach dem traumatischen Kern gibt die Struktur der Handlung vor: am Ende steht die Offenlegung dessen, was wirklich geschah. Der Trauma-Plot „does not direct our curiosity toward the future (Will they or won’t they?) but back into the past (What happened to her?)”, so Seghal. Damit scheint ein zentraler Bezugspunkt zu unserer Gegenwart gegeben, die ganz allgemein ein Mangel an Zukunftsentwürfen auszeichnet. Im Seminar wollen wir uns dem Trauma-Plot mit einem kulturwissenschaftlichen Interesse aus medien-, film- und literaturwissenschaftlicher Perspektive widmen. Wir wollen uns mit Vorläufern des Trauma-Plots und strukturverwandten Genres beschäftigen sowie mit Theorien der Erzähl- bzw. Darstellbarkeit des Ereignisses. Begleitend wird ein Lektürekurs stattfinden.


Depression, Burn-Out, Trauma – die Zunahme an Erschöpfungsdiagnosen vor, nach und während der Pandemie wurde nicht nur breit in der Öffentlichkeit diskutiert, sondern erhielt entsprechend auch Aufmerksamkeit von kulturtheoretischen Analysen. In der Literatur haben Krankheitsgeschichten in den letzten Dekaden wieder Konjunktur, nicht zuletzt dank des Revivals der Autofiktion. Intime Lebenserzählungen, die um Kindheitstraumata und spätere somatoforme Störungen sowie um Phasen der depressiven Verstimmung und des Burn-Outs kreisen, häufen sich auch in anderen popkulturellen Formaten (Serien, Film, Musik, Comic). Ein Zusammenhang mit der Kultur des Digitalen bzw. des Postdigitalen wurde u.a. von Mark Fisher hergestellt. Die Alternativlosigkeit unserer gegenwärtigen Epoche, die seltsame Mischung aus Langeweile und Restlosigkeit trägt, so Fisher, zu einer Gefühlsstruktur des Depressiven bei. Die Wiederkehr des Verdrängten, eines so genannten „anthropozänen Unbewussten“ (Mark Bould), das die menschliche Bedingung zwischen Verantwortung und Kontrollverlust beschreibt, wurde zuletzt auch als zeitspezifische Signatur beschrieben. In der Vorlesung wollen wir gezielt nach der Conditio humana zu Beginn des 21. Jahrhunderts sowie nach der Epochenfähigkeit des jungen 21. Jahrhundert fragen.

 


Liebe Kommiliton_innen,

herzlich Willkommen im Moodle-Kurs für unser Tutorium zu den Einführungsseminaren in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft!
Auf diesen Seiten findet Ihr alle von uns im Tutorium verwendeten Unterlagen nach Themenbereichen sortiert, wobei sich die Reihenfolge nach dem Seminarplan von Herrn Dr. Hettche (Kurs A) richtet. Zusätzlich existiert ein Forum, in dem Ihr jederzeit alle eure Fragen stellen könnt, ich versuche dann, so zeitnah wie möglich zu antworten!